Die Bevölkerung hatte mit Krankheit und Hungersnot zu kämpfen.

Vor 200 Jahren gab es immer wieder Missernten, so auch in den Jahren 1816 und 1830. Besonders schwer hatten es Landwirte mit leichten Sandböden. Kunstdünger kannte man da noch nicht. Hinzu kam eine enorme Verteuerung der Korn- und Kartoffelpreise. Ein schwerer Hagelschlag war im Jahre 1844.Noch schlimmer wurde es im Jahr 1845. Im März herrschte noch eine Temperatur von minus 19 Grad reamur. Das führte zu einer weiteren Katastrophe, denn es herrschte großer Mangel an Futter. Nachdem der Heuvorrat aufgebraucht war, wurde das teure Stroh verfüttert. Es kam soweit, dass man das Stroh von den Dächern holte und das Vieh in die Wohnstube holte. Das Vieh war dem Verhungern nahe und während der Lämmerzeit starben die jungen und alten Schafe in Massen. Für die armen Leute wurden Naturalien gesammelt und Kollekten abgehalten, die aber auf die Dauer nicht ausreichten. 1846 gab es eine weitere Missernte, so dass sich die Versorgungslage noch verschlechterte. Die Preise stiegen immer weiter an und die Bürger waren nicht mehr in der Lage, notwendige Lebensmittel zu kaufen. Am 10. Mai 1847 teilte Bürgermeister Ludwig Reinhardt mit, dass die Regierung dem Gemeindeverband Neuenkirchen-Wettringen zwei Wimpel Roggen zur Verteilung an die Notleidenden überwiesen hatte. Davon erhalten die Ämter Neuenkirchen und Wettringen je ein Wispel = 2 Malter oder 24 Scheffel. ( 1 preußische Scheffel = 54,96 Liter). Der Armenrendant teilte mit, dass er bis jetzt zur Versorgung der Armen 130 Taler Vorschuss geleistet habe und bis zur Ernte auf 300 Taler kommen werde. Er benötige das Geld dringend zum Ankauf von Pflanzkartoffeln für die hiesigen geringeren Grundbesitzer. Daraufhin beantragte der Gemeinderat zur Bestreitung der Bedürfnisse für ein Jahr einen unverzinslichen Zuschuss von 300 Talern aus dem Grundsteuerdeckungsfond zur Verfügung zu stellen. Um diese Not zu überwinden, erklärte sich die Regierung bereit, auf Antrag einen zinslosen Vorschuss von 300 Talern für 12 Monate zu gewähren. Die von beiden Gemeinden gestellten Anträge wurden am 15. Juni 1847 genehmigt. Verschärft wurde die Lage durch die negative Lage auf dem Textilsektor. Der Absatz des Leinengewebes nach Holland ging immer mehr zurück, weil immer mehr Baumwollgewebe gekauft wurden. Im Jahre 1835 betrieben noch 48 Neuenkirchener und ein Wettringer Handel mit Holland. 1853 meldete der letzte Leinenhändler sein Gewerbe ab. Im Juni 1847 war der Weberlohn so gesunken, dass ein guter Hausweber höchstens sechs Silbergroschen täglich verdienen konnte. Das reichte für eineinhalb Pfund Butter. Viele Einwohner wurden krank. 1947/1948 trat das Nervenfieber (Typhus) auf. E starben 15 Neuenkirchener an dieser Krankheit und 50 an Tuberkulose. In Wettringen sind fast keine Todesursachen Angegeben. Dort heißt es „unbestimmte Krankheit“ oder auch „langwierig krank“. Insgesamt starben in den beiden Jahren in Wettringen 93 Einwohner und in Neuenkirchen 161 Einwohner. Neuenkirchen zählte damals 2830 Einwohner.

Im Amtsblatt der königlichen Regierung in Münster vom 1. Mai 1847 erschien die Mitteilung, dass man Brot mit dem Zusatz von Queckenmehl  backen könne. Das Brot sollte nach folgendem Rezept gebacken werden: Die gelblich langen Queckwurzeln werden gereinigt, dann sorgfältig gewaschen, hart getrocknet, zu Häcksel geschnitten und auf der Kornmühle gemahlen. Acht Pfund Häcksel ergeben 7 Pfundgelbliches Mehl, dem Gerstenmehl ähnlich. Das Mehl wird mit einem gleichen Teil Roggenmehl  vermengt, zum Teig gerührt, gesäuert und gebacken. Das Brot wäre geschmacklich kaum von einem Roggenb rot zu unterscheiden. Die Queckenwurzel enthielt Schleimzucker, Extraktiv-Eiweiß und Faserstoff und wurde als sehr gesund und nährend gepriesen. Durch die steigenden Preise nahm die Verarmung der Bevölkerung zu. Die Folge war, dass die Bettelei und die Diebstähle überhand nahmen. Schließlich musste man Nachtwachen einrichten, die abends ab 10 Uhr bis morgens 4 Uhr Streife gingen. Nach einer Verfügung der Regierung mussten die Verwaltungen genauestens berichten, was zur Linderung der Not unternommen wurde. Amtmann Reinhardt berichtete am 27.6.1847 wie folgt:

1.    vom Januar bis gegen August wird hier wöchentlich zur Linderung der Brotnot ein bedeutendes Quantum Brot gebacken, welches größtenteils an die Amen kostenlos verteilt wird, verschiedene andere erhalten dieses zu herab gesetzten Preisen. Die Mehrausgabe, welcher der Armenfond hat, beträgt 300 Taler,

2.    Damit die Bedürftigen Kartoffeln pflanzen können, werden 56 ½ Berliner Scheffel Kartoffel gekauft und an  89 Familien verteilt.

3.    Die Gemeinde kauft 18 Berliner Scheffel Bohnen. Zur Deckung der Kosten wurden 300 Taler  für ein Jahr zinslos aus dem Grundsteuer Deckungsfond genehmigt.

4.    Der hiesige Kaufmann Heitmann  hat für ärmere Familien 36 Berliner Scheffel Pflanzkartoffeln zur Verfügung gestellt mit der Bedingung, ihm nach der Erbte die doppelte Menge Kartoffeln zurückzuliefern.

 -ba- Neuenkirchen